Maximilian Höfl berichtet aus Stockton (California / USA)

Yes We Can. Ein Jahr in den USA: Der von Barack Obama versprochene „change“ wurde auch für mich ein wichtiges Stichwort in diesem Jahr. Am 24. Juli hatte ich eine Reise, ja vielmehr ein neues Leben angetreten. Somit war der Traum vom Austauschjahr in den USA wahr geworden. Ich konnte meinen Vorsatz verwirklichen: „Lebe deinen Traum und träume nicht dein Leben“.

Zu meiner Überraschung blieb der Kulturschock aus. Ich landete bei einer herzlichen Familie in Ohio, die viele Jahre in verschiedenen Ländern gelebt hat und eine globale Lebenskultur pflegt. Schnell bemerkte ich, wie strapazierend und kompliziert es ist, die Muttersprache durch eine Fremdsprache zu ersetzen, mit der wir sonst nur im Klassenzimmer konfrontiert wurden.

Um zügig das amerikanische Englisch und noch mehr über Land, Leute und Traditionen zu lernen, nahm ich an einem Vorbereitungscamp teil. Noch nie zuvor war ich mit so vielen Menschen aus verschiedenen Nationen in einem Raum. Japaner, Chinesen, Ukrainer, Tschechen, Italiener, Franzosen und Deutsche kamen zusammen, mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen: die persönliche Entdeckung Amerikas. Und die sollte nach diesem Monat in Ohio noch lange nicht vorbei sein. Nach dem Abschied am Flughafen in Dayton machte ich mich auf den Weg nach Kalifornien, um voll und ganz im amerikanischen „spirit“ einzutauchen.

Vom feuchten, belastenden Klima Ohios wechselte ich in die pazifische Atmosphäre des Westens: Sonne, Wind und angenehme Temperaturen! Ich landete in der Hauptstadt Sacramento und kam sicher in Stockton an, wo mich meine Gastschwester Regina und ihr Freund Doug freudig und neugierig willkommen hießen. Die erste Woche verbrachte ich bei den aufgeschlossenen Nachbarn meiner Gasteltern, die gerade noch eine Woche in Hawaii Urlaub machten. Dann war ich erst „wirklich“ an dem Ort, der für ein knappes Jahr meine zweite Heimat werden sollte. Meine Gasteltern Eric (61) und Yolanda (59) sind herzliche, einfühlsame und lebenserfahrene Menschen, die mich Tag für Tag motivierten: „Max, be a tiger, not a turtle!“. So gestärkt schaffte ich den Schuleinstieg ohne größere Probleme.

Die Umstellung vom deutschen auf das amerikanische Schulsystem war enorm. Als „Junior“ an der Lincoln Highschool hatte ich aus einem reichen Angebot meine Kurse auszuwählen. Um 7:20 begann der Tag mit „Media Arts“, wo ich – nahe dem Silicon Valley – systematisch die Feinheiten der Web-Gestaltung lernte. „US-History“ in der zweiten Stunde führte uns in die blutigen Anfänge der amerikanischen Republik und ihre demokratische Gründungsgeschichte. Dann folgte „Astronomy“, ein faszinierendes Fach, das uns entfernte Galaxien und die Ursprünge des Universums „nahe“ brachte. In der vierten Stunde übten wir „French“. Die letzten zwei Fächer waren „Math“ und „English“. Und das Tag für Tag bis 15 Uhr in fremder Sprache! Kein Wunder, dass ich anfangs erschöpft nach Hause kam. Wie froh war ich, dass mir verständnisvolle Gasteltern zuhörten und mich unterstützten, die Flut von Eindrücken zu verarbeiten.

Schnell fand ich Freunde. Der Status eines Austauschschülers machte mich irgendwie „interessant“. Viele gingen offen auf mich zu und wollten endlich einen aus Deutschland kennenlernen, dem Land, in dem man von Schnitzeln und Weißwürsten lebt, Lederhosen trägt und besoffen auf der Autobahn rast…  So wurde „the German boy“ unter den 2500 „Lincoln-Trojans“ ein Besonderer, obwohl er - wie sie - in Flip-Flops, T-Shirts und ganz normalen Jeans daherkam. Wie ein Kalifornier eben: lässig, offen und multikulti. So kam es, dass sich eine meiner tiefsten Freundschaften in diesem Jahr nicht mit einem Amerikaner, sondern mit einem vietnamesischen Austauschschüler entwickelte. Minh aus Hanoi und Max aus Burghausen erleben das eine Kalifornien aus zwei Perspektiven, wie sie unterschiedlicher kaum sein können.

Wir durchquerten zusammen die Millionenmetropole San Francisco. Die Stadt des Goldrauschs, die im 19. Jahrhundert Brennpunkt heftiger ethnischer Auseinandersetzungen war, entdeckten wir als „Nugget der Toleranz“. Der einzigartige Drang nach Freiheit, Lebensstil und Kultur macht San Francisco für mich zum Modell einer Wertegemeinschaft, wie sie die Zukunft der einen Welt brauchen würde. Wir besuchten die Universitäten Standford und Berkeley, die mit ihren Nobel-Preisträgern und wissenschaftlichen Leistungen zu den besten Bildungszentren der Welt zählen. Hier wurde die Kulturrevolution der 68er geboren. Bis heute spürt man dort den Geist der Gerechtigkeit und Freiheit – auch wenn die amerikanische Realität diesen Idealen hinterherhinkt. Wir lernten ein Land der Gegensätze kennen: die ursprüngliche Natur des Hochgebirges der Sierra Nevada und die vielbebauten Ballungszentren der San Franciso Bay. Die wilde Küste des Pazifiks und das milde Klima der Kornkammer Amerikas, des Joaquin Valleys. Die Ressourcenverschwendung der Hummer-Trucks und die Sparsamkeit der Hybridautos. Die strenge Moral  gläubiger Konservativer und die liberale Lebenshaltung der Schwulen und Lesben.    

Am tiefsten aber beeindruckte mich die Haltung meiner Gasteltern. Was trieb sie, einen fremden Schüler aus Deutschland so großzügig für ein Jahr - ohne Entgelt und Gegenleistung - aufzunehmen? Vielleicht ist es genau dieser kalifornische Stil der Weltoffenheit und Gastfreundschaft, der das Stereotyp eines imperialen Amerikas konterkariert.

So fiel es mir wirklich schwer, von dieser „neuen Welt“ loszulassen: von dem mitreißenden „spirit“ der Tennismannschaft, dem fairen Wettkampf der Argumente im politischen „debate club“, der kollegialen Verständigung zwischen Lehrern und Schülern… 

Auch wenn dieses „beste Jahr meines Lebens“ definitiv vorbei ist: diese Begegnungen, Erfahrungen und Erinnerungen können mir nicht genommen werden. Mit dieser Lektion nahm ich am 15. Juni Abschied, kurz aber schmerzhaft. So kehrte ich nach Deutschland zurück, geprägt von der Erfahrung: „Yes, I can.“

Dennoch wäre es gelogen, wenn ich mich nicht wieder auf die „alten“ Freunde, Geschwister und Eltern gefreut hätte. Auch die noch vertrauten grünen Landschaften Bayerns waren eine willkommene Alternative zu den teils dürren Weiten Kaliforniens. Und es geht einfach nichts über Bretz’n und Spezi.

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